Jahr 1 als Partikel der Welt.
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Und ehe ich mich versah, war ein Jahr um. Gelebt in einem Auto, in halb Europa. Ein Jahr ohne Altlasten meines bisherigen Seins (wirklich?), ohne Haus, ohne all die Strukturen, Menschen, Freunde von ‚zu Hause‘. Was ist jetzt mein Zuhause? Wie fühlt es sich an? Wie fühle ich mich an?
Wenn einer unterwegs ist wie ich gerade, so hat er viel Zeit, um über alles Mögliche nachzudenken.
Zum Beispiel darüber, dass es Zeit nicht gibt.
Oder darüber, dass Nachdenken nicht zu Antworten führt.
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Tatsächlich vergehen die ersten Wochen meines Weltenbummler-Daseins in Griechenland, im Oktober und November 2024, damit, zu realisieren, dass ich nicht nach zwei Monaten wieder ’nach Hause‘ fahre, da es dieses ’nicht mehr gibt‘. Es ist wortwörtlich von der Landkarte getilgt (ich bin ausgetragen, abgemeldet), und die einzigen Schlüsselchen, die ich in dieser Gegend noch drehen kann, sind der zu einem Raum, Museum meiner Habseligkeiten, und der zu meinem Landrover, untergestellt für allfälligen späteren Gebrauch.
Zu Hause bin ich ab nun da, wo ich gerade bin. Das sagt sich leicht, und fühlt sich sogar gut an. Jeden Morgen beim Öffnen der Türe eine andere Nachbarschaft, man kuttert von hier nach dort, hat indes alles dabei, was das Gefühl eines Heims vermittelt. Doch ergibt das ein Zuhause? Was unmittelbar auch zur Frage führt:
Was war denn zuhause das Zuhause?
Ist es das Heimat-, das Geburtsland, das Land der Vorfahren, die Nationalität? Sind es die Menschen? Ist es der angehäufte Hausrat, die Karriere? Oder all das zusammen? Was davon habe ich mitgenommen, und wie sehr?
Offenbar nicht sehr viel davon, und dann nicht in dem Mass, dass es nach wie vor ein Zuhause ergäbe. Das gilt insbesondere auch im umgekehrten Auge der Menschen, Gewohnheiten, Orte, Institutionen, mit denen ich umgeben war. Ihnen mangele ich nun zu sehr an Präsenz, als dass sie mich weiterhin als einen Teil ihres Zuhauses betrachten könnten.
Das wiederum vermittelt mir das Gefühl von ‚entlassen‘ sein, entlassen aus dem Kontext.
Der Lebenskontext als Zuhause?
Das gälte ja dann aber auch hier.
Ich fühle es nicht.
Was dann? –
Es braucht lange, bis ich merke, dass mein Zuhause nicht äusserlich festzumachen ist. Sondern nur in mir drin. Ich bin das Zuhause – mein Zuhause.
Es gibt ja das Wort: Wohin man auch geht, sich selber nimmt man immer mit. Oder mahnender ausgedrückt: Man kann sich selber nicht davon. Und mit mehr Übersicht: Wer nicht ganz bei sich ist, wird sich nirgends wirklich wohlfühlen, etwas wird immer fehlen, egal was man tut, was man hat, oder erreicht, wohin man auch kommt.
Ich hatte nie den Eindruck, als renne ich (vor mir) davon. Aber Hand aufs Herz: Was war denn zuhause mein Zuhause? War ich je zu Hause?
(Schön, auf wie viele Arten man ‚Zuhause‘ schreiben kann!)
Was mir immerhin schon lange bewusst geworden war: das Mähen des Rasens, der Benimm gegenüber den Mitmenschen, der erreichte Rahmen an Rang und Gut gibt mir nicht das Feedback eines Zuhauses im Sinne von sich zu Hause fühlen, nicht einmal der liebste Mensch, bei dem man sich zu Hause fühlt wie bei niemandem sonst, ist das Zuhause, sondern eben der liebste Mensch.
War ich je zu Hause?…
Vom Anfang meiner Reise an war mein definiertes Ziel, Raum zu schaffen für weitere persönliche Entwicklung – als Mensch weiter wachsen. Ich sah es auch immer eher als eine Reise zu mir selbst als in die Welt hinaus. Der Raum ist nun da. Und ich nutze ihn. Horche in mich hinein. Lese. Höre. Sehe. Lasse setzen. Nehme wieder auf. Versuche weiter zu greifen. Der Stein ist ins Rollen geraten.
Viel Selbstverständnis, durchs Leben angehäuft, konsolidiert, ab und zu ergänzt und verfeinert, aber nie in Frage gestellt, oder besser: erst in der letzten Zeit in Frage gestellt, bröckelt und zerfällt.
Es heisst, bevor etwas Neues entstehen kann, muss das Alte in sich zusammen brechen. Manchmal falle ein ganzes Lebenskonstrukt in sich zusammen, so dass man erst einmal nackt wie neugeboren am Boden sitze, hört man, ohne Schutz; das schürt natürlich Ängste.
Ja, manchmal fragt man sich, was man alles getan und unterlassen hat.
Andererseits: immer wieder bemerke ich nun im Prozess (näher an mich heran zu kommen, mehr ‚mich‘ zu werden), wie viel schon immer da war, jedoch wenig beachtet, oder zur Nutzlosigkeit verzerrt. Wieviel ich auch durch meine Umwelt falsch für mich habe konnotieren und verzerren lassen. Wieviel ich überhaupt auf andere gehört habe, anstatt auf mich. Wieviel aber auch, oft unterbewertet zwar, aber dennoch konstant als Rückhalt verfügbar, da war und wahr ist.
Was konkret?
– Demut
– Bescheidenheit
– Dankbarkeit
– Glück, empfunden, für Sekunden
– ein tiefes Gefühl universaler Verbundenheit, hie und da
– etc.
Ich weiss und wusste immer, wie viel wert und wie relevant das ist.
Was aber im Moment das wirklich Wertvolle ist, sind all die kleinen sprühenden Funken, die auf mich treffen, Moment für Moment, die ich auffangen und aufnehmen kann, wenn ich offen und bewusst genug bin. Hier entsteht Glück vor meinen Augen und ein Weg. Das Ziel ist, auf ihm zu gehen.
Man nimmt sich mit, wohin immer man geht, ja. Man kann sich selber nicht davon. Und doch kann man aber auch an sich arbeiten, wo immer man ist. Der Raum und die Ruhe, die mich umgeben, ermöglichen es, fühle ich. Ich bin sicher, dass nicht gedacht war, dass im ‚früheren‘ Zuhause eine solche Entwicklung stattfinden soll. Geschweige denn: überhaupt hätte stattfinden können.
Ich bin also in Bewegung geraten.
Und ich bin glücklich darüber.
Meine Richtung ist mein Bewusstsein, mein Inneres, mein Ich. Sehr viel durchs Leben Aufgesetztes, das im Weg stand, habe ich bereits losgelassen. Ich bin in guten, freien Richtungen. Und ich bin gespannt, wohin mich meine Reise führt. Meine Hoffnung, mein Glaube, mein sicheres Gefühl: sie führt zu mir, in mein wahres Zuhause, ins Ich. ‚Ich‘ nicht im egoistischen Sinn, sondern im Sinne reinen, bewussten Seins.
Ziemlich pathetisch klingt das wohl.
(Nun, in der Tat.)
Aber, aus meiner Sicht, ein guter (Zwischen)punkt, nach einem Jahr Unterwegssein.
en tōi kosmōi
bedeutet ‚in der Welt‘ im universalen Sinn: in der Welt, in der Ordnung, im Universum.
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Nachtrag: Ich habe im Moment ein starkes Bedürfnis danach, allein zu sein. Das merke ich an Orten, an denen viel los ist. Menschen, die nach aussen unterwegs sind – und daran ist nicht das Geringste auszusetzen, im Gegenteil! – und nicht nach innen. Wie soll sich das verstehen? Ich will nicht mehr ein Eigenbrötler werden als ich ohnehin schon immer war; dennoch ist es für mich im Moment gut, vornehmlich bei und mit mir zu sein. Ich werde mich der Gesellschaft dann auch wieder zuwenden.
Auf ins zweite Jahr!
















